„Wir holen uns die Selbstbestimmung zurück!“

Trotz Pandemie hat das Gleichstellungsbüro zum Semesterstart einen Flyer mit Tipps gegen sogenannte „Pick-Up-Artists“ veröffentlicht. Was steckt hinter den sexistischen Anmachen und wie setzen sich Betroffene und ihre Mitstreiter*innen in Frankfurt und an der Goethe-Uni zur Wehr?

+++ Disclaimer: in diesem Artikel werden sexistische Anmachen und übergriffiges Verhalten, sowie frauen*verachtende Ideologie geschildert +++

Als die Studentin B. im Sommer allein über die Konstablerwache läuft, wird sie ohne erkennbaren Anlass von einem Mann angesprochen. Er erzählt ihr, er sei neu in der Stadt und fragt, ob sie nicht mit ihm einen Kaffee trinken gehen will. Obwohl B. ablehnt bedrängt er sie weiter und fordert sie wiederholt auf ihm ihre Handynummer zu geben. B. hat ihn aber längst erkannt: Sie kennt sein Gesicht von Bildern aus den Sozialen Medien. Dort vernetzen sich Personen, die sich gegenseitig vor Männern warnen, die wiederholt mit übergriffigem Verhalten auffallen. Erst als B. ihn damit konfrontiert, gibt er auf.

B. ist bei weitem nicht die Einzige, die solchen Übergriffen ausgesetzt ist. Gerade an der Uni und um den Campus herum berichten Studierende immer wieder von systematischen Anmachversuchen, die nicht selten in unnachgiebiger Übergriffigkeit enden. Selbst wenn die Betroffenen mit Ablehnung reagieren. Die Männer, die sich mit sogenannten „Maschen“ an die Betroffenen wenden und sie belästigen, nennen sich selbst „Pick-Up-Artists“ und sind Teil einer Szene mit ihren eigenen Stars, Seminaren und Regeln. Das Problem ist, trotz der Pandemie, so groß, dass das Gleichstellungsbüro der Goethe-Uni zum Semesterbeginn Tipps dazu veröffentlicht hat, wie mensch sich in einer solchen Situation verhalten kann. Unter dem Titel „Nein heißt Nein!“ ruft die Gleichstellungsbeauftragte in Zusammenarbeit mit der Anti-Diskriminierungsstelle und dem Gleichstellungsrat des Fachbereichs Gesellschaftswissenschaften dazu auf, unangenehme Gespräche zu beenden, Grenzen zu benennen und vor allem weder Schlüssel noch Handy aus der Hand zu geben. Auch diejenigen, die beobachten, wie sich Betroffene so in einer bedrängten Position befinden, fordert das Papier auf, sich einzumischen und sich solidarisch zu verhalten.

Luise, studentisches Mitglied im Gleichstellungsrat des FB 03, betont im Gespräch mit FaSe noch einmal: „Gebt auf keinen Fall euer Handy aus der Hand! Mit genau dieser Masche versuchen es diese Pick-Up-Typen immer wieder auf dem Campus“. Die Uni versuche zwar, den Pick-Up-Typen1 entgegenzutreten, die ausgesprochenen Hausverbote seien aber schwer umzusetzen, solange die Männer als Studierende eingeschrieben sind. Außerdem, so berichtet die Studentin, gäbe es immer wieder Probleme mit dem Sicherheitsdienst der Universität, der versuchen würde die vermeintlichen Konflikte zwischen den Betroffenen und den Pick-Up-Typen zu schlichten. „Da hilft nur eine klare Kommunikation und vor allem die Solidarität der umstehenden Studierenden. Lasst die Betroffenen nicht allein, wenn ihr solche Situationen beobachtet!“, appelliert Luise an ihre Kommiliton*innen.

Diese Vorfälle sind in Frankfurt keine Einzelfälle. Im Sommer 2020 machten die Ermittlungen gegen einen Frankfurter Schlagzeilen, der über Jahre hinweg versucht hatte, als Frauen gelesene Personen mit derselben Masche zu „verführen“. Er fragte nach dem Weg, nahm den Betroffenen das Handy aus der Hand und rief sich selbst an um sich so die Nummern der Personen zu erschleichen. Dass es sich dabei nicht um einen einmaligen Vorfall handelte, zeigten die Reaktionen von ca. 50 Betroffenen auf einen Instagrampost einer Frau* die von dem Übergriff auf sie berichtete. Sie vernetzten sich und wandten sich gemeinsam an die Polizei, die nun Ermittlungen eingeleitet hat. Als sich die Betroffene* zuvor allein an die Polizei wandte, wurde sie ignoriert. Auch ist es kein Novum, dass die sexistischen Anmachversuche an der Goethe-Universität thematisiert werden. Bereits 2016 klärten zwei Artikel in der AStA-Zeitung über die Machenschaften eines Pick-Up-Typen auf dem Campus auf und thematisierten den dahinterliegenden systematischen Sexismus. Ein in den Artikeln namentlich genannter Pick-Up-Typ versuchte daraufhin mit einer Unterlassungserklärung die Verbreitung der Artikel zu verhindern. Darauf folgte ein Rechtsstreit, der durch mehrere Instanzen ging, an dessen Ende der AStA aber Recht behielt. Außerdem hatte das sich hinziehende Verfahren die Wirkung, dass sich zahlreiche Studierendenorganisationen und Zeitschriften solidarisierten und den Artikel nachdruckten. Auch der Senat der Universität äußerte sich im Februar 2016 zum Auftreten der sexistischen Vorfälle und hielt fest, dass „die Goethe-Universität ein Klima schaffen will, in dem sexistisches Verhalten keinen Raum hat“ und die „Universitätsleitung unter Nutzung aller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unerwünschte Vorfälle dieser Art zu unterbinden bzw. zu ahnden sucht“.

Aber was steckt hinter dem Aufkommen der systematischen Belästigungen? Die Männer selbst bezeichnen sich als sogenannte „Pick-Up-Artists„, als Künstler der Verführung. Auf YouTube finden sich zahlreiche Tutorials und Videos, mit denen die selbsternannten Alphas ihre Techniken zur Schau stellen und an andere weitergeben wollen. Außerdem wird im Netz für Seminare geworben, bei denen erfolgreiches Flirten erlernt werden soll. Dass es dieser Szene und ihren Stars aber nicht darum geht, einsamen Männern den respektvollen Umgang mit potenziellen (Geschlechts-) Partner*innen beizubringen, zeigt ein Blick auf die Erklärungs- und Begründungszusammenhänge der teilweise pseudo-wissenschaftlichen Beiträge. Wie selbstverständlich gehen die Männer von einer binären (also zweigeschlechtlichen), biologisch festgelegten Geschlechterordnung aus, die angeblich in den grauen Vorzeiten der Jäger und Sammler entstand und Frauen und Männern ihren festen gesellschaftlichen Platz und Charaktereigenschaften zuschreibt. Zum Beispiel wird von dem Mythos ausgegangen, dass Frauen zwar auf der Suche nach starken Beschützern seien, die sexuelle Anziehung jedoch nachlassen würde, sobald sie ihn vollständig unter ihre Kontrolle gebracht hätten. Dies resultiert in dem Grundsatz, sich nicht kontrollieren zu lassen von der Frau, die, so die reaktionäre Annahme, in der Moderne wehrhaft geworden wäre. Weiterer wichtiger Bestandteil der narrativen Strategie ist die Behauptung eines Rechtes auf körperliche Berührung oder Sex. Von diesem Recht dürfe auch im Falle einer Ablehnung Gebrauch gemacht werden. Damit und mit der Annahme, Frauen würden nicht sagen, was sie wollen, sondern ihre Kommunikation sei aufgrund ihrer Emotionalität nicht ernst zu nehmen, wird das Recht auf (körperliche) Selbstbestimmung systematisch ignoriert. Natürlich geht damit auch eine Objektifizierung von als Frauen gelesenen Personen einher, die lediglich als die Objekte männlicher Begierde und Sexualität angesehen werden und die in Zahlenrastern nach ihrem Aussehen kategorisiert werden. Nicht selten tritt dieser Sexismus auch gepaart mit Rassismus oder Exotisierung auf, wie der Skandal um einen international auftretenden Pick-Up-Typen 2014 zeigte, der Betroffene in Tokio nicht nur körperlich belästigte, sondern sich dabei auch rassistisch äußerte. Mit dieser frauen*verachtenden Ideologie überschneidet sich die Pick-Up-Szene mit der anti-feministischen maskulinistischen Bewegung der sog. Männerrechtler, die wiederum Überschneidungen zu antisemitischen und rechten Verschwörungsideologien aufweist.

Daher ist es kaum überraschend, dass diese Männer mit Gegenwehr rechnen müssen, die auch über institutionelle Beratungsangebote und Aufklärungsarbeit an der Universität hinausgeht. So vernetzen sich Studierende und Personen außerhalb der Universität in Messenger-Gruppen, um Bilder von den Pick-Up-Typen auszutauschen und sich gegenseitig zu warnen. Außerdem rufen feministische Gruppen, wie zuletzt im Frühjahr 2020 unter dem Hashtag #feministischkämpfen in Frankfurt, immer wieder dazu auf, sich selbst zu schützen – und schreiten selbst zur Tat. So wurde anlässlich des internationalen Frauen*kampftages am 8. März das Auto eines bekannten Pick-Up-Typen in Frankfurt zertrümmert. Neben seinem Sexismus und dem grenzüberschreitenden Verhalten kritisieren die Aktivist*innen in ihrem Bekenner*innenschreiben auf dem linksradikalen Portal indymedia, auch die Kommerzialisierung der Pick-Up-Szene in Form von teuren Seminaren zum Erlernen der sexistischen Praxis. Die Feminist*innen erklären: „Die Kommerzialisierung dieser systematischen Grenzüberschreitung der körperlichen Selbstbestimmung von Frauen* durch Sexisten […], ist ein widerwertiger Auswuchs des kapitalistischen Patriarchats. Sie führt zu vermehrten Belästigungen im öffentlichen Raum und nicht zuletzt zur Normalisierung von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen“. Die Aktivist*innen schließen mit dem Satz: „Wir holen uns die Selbstbestimmung zurück, die uns der sexistische Staat und der Kapitalismus niemals geben wird und sorgen für unseren Selbstschutz indem wir #feministischkämpfen!“

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Wenn ihr selbst betroffen von sexistischen Anmachen auf dem Campus seid oder anderweitig Diskriminierung erfahrt, könnt ihr euch jederzeit an die Antidiskriminierungsstelle der Goethe-Uni wenden: Antidiskriminierungsstelle – Campus Westend | IKB-Gebäude | Eschersheimer Landstr. 121-123Tel.: 069 798 18134antidikriminierungsstelle@uni-frankfurt.de

1 Der von den Männern selbst propagierte Begriff „Artist“ (deutsch: „Künstler“) soll hier nicht übernommen und reproduziert werden. Er relativiert den sexistischen Charakter der Anmachversuche.