Am vergangenen Freitag las Alice Hasters im Studierendenhaus in Bockenheim aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Die Autorin, geboren 1989 in Köln, ist Tochter einer Schwarzen Mutter und eines Weißen Vaters. Ihre Herkunft hat ihren Alltag von klein auf verkompliziert: Das autobiographische Buch beschreibt eine Auswahl des alltäglichen Rassismus, der ihr in Deutschland seit frühster Kindheit begegnet. Das Werk dominierte im letzten Jahr viele Bestsellerlisten und wird oft in einem Zug mit anderen Werken wie „Exit Racism“ von Tupoka Ogette oder „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Snow genannt. Organisiert wurde das Event von „GG Vybe“, einer Gruppe weiblicher DJs, denn auch in der Welt von HipHop, RnB und Pop ist der Grat zwischen Aneignung und Empowerment ein schmaler.
In den knapp 2 ½ Stunden wurden in einer Mischung aus Lesung und Q&A viele Themen angeschnitten: Intersektionalität, Cultural Appropriation und positiver Rassismus. Täter-Opfer-Umkehr, die vielen schmalen Gratwanderungen und die Alltäglichkeit der Diskriminierung. Nicht selten schüttelten Zuhörer*innen den Kopf angesichts des geschilderten, blanken Rassismus, der Hasters in der Mitte Deutschlands begegnet. Überraschend? Eigentlich nicht.
Ein Jahr ist seit der Veröffentlichung ihres Buches im September 2019 bereits vergangen. Damals fiel Hasters in vielen Kreisen noch als Vertreterin einer radikalen Meinung auf und Begriffe wie BPoC waren für die breite Masse noch Neuland. Seitdem ist das Thema Rassismus im öffentlichen Diskurs angekommen und die damit verbundenen Probleme und Begriffe sind so präsent, da ist es schwer geworden, sich mit Unwissen herauszureden. Horst Seehofer versucht es trotzdem (mit mäßigem Erfolg).
Für Hasters persönlich ist insbesondere seit dem Tod von George Floyd vieles anders: „Ich hatte wahnsinnige Angst, Fehler zu machen“. Mittlerweile hat sie akzeptiert, dass sie nicht alle Erwartungen erfüllen kann: „Sich nicht zu zensieren, ist das wichtigste. Ich möchte niemanden verletzen, aber zuerst muss ich mich selbst schützen! Und ich kann besser mit mir leben, wenn ich meine Wut rauslasse.“ Laute Wut kann man sich als Außenstehender bei dieser ruhigen Frau allerdings kaum vorstellen. Dieser Wirkung ist sich Hasters bewusst: „Meine eigene Art ist kein Maßstab! Es muss auch Menschen geben, die aggro sind.“
Auch wenn die Wichtigkeit dieses Themas außer Frage steht, so fällt an diesem Abend auf: Hier sind Menschen zusammengekommen, die sich und ihre Umwelt reflektieren und ein gesellschaftliches Problem erkannt haben. Anhand der Publikumsfragen wird deutlich, dass die Anwesenden sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben, sei es aufgrund der gesellschaftlichen Thematisierung in den letzten Monaten oder weil sie ihn selbst erlebt haben.
Darin besteht das Kernproblem von Lesungen und ähnlichen Veranstaltungen, insbesondere bei solchen, die fest verankerte Denkmuster herausfordern und gesellschaftliche Missstände anprangern. In diesem Fall: Die, die es hören sollten und müssten, sind höchstwahrscheinlich nicht da. Ein echter Diskurs kann in einer solchen Blase allerdings nur begrenzt stattfinden. Die eigene Komfortzone hat an diesem Abend wohl niemand richtig verlassen.
Vermutlich ist niemand gänzlich frei von rassistischen Denkmustern. Umso wichtiger ist es, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Hasters sieht an dieser Stelle das Grundproblem: „Wir reden falsch über Rassismus!“ Es geht zuallererst darum, den Dialog zu suchen und eingefahrene Muster in Frage zu stellen. Dass dieser Diskurs zwingend harmonisch ablaufen muss, ist für Hasters kein Kriterium. Hauptsache, er wird geführt. Auch von und mit Horst Seehofer.
Fazit: Wer gerade beginnt, sich mit dem Thema Rassismus und verwandten Diskursen auseinander zu setzen, für den ist dieses Buch gemacht. Sagen dir allerdings Begriffe wie Intersektionalität und Cultural Appropriation bereits etwas, dann gehörst du wahrscheinlich nicht zur primären Zielgruppe. Aber auch wenn du dich bereits mit dem Diskurs beschäftigst: Alice Hasters’ Buch nimmt sich der Thematik nicht aus einer übermäßig verkopften Richtung an, sondern stellt mit anschaulichen Schilderungen dessen erschreckende Alltäglichkeit in der Mitte unserer angeblich aufgeklärten Gesellschaft dar.