“Bei aller Liebe, das finde ich nicht gut”

Der Spagat zwischen Politik und Studium, Philipp Amthor als Repräsentant unserer Generation und das Problemkind der hessischen Grünen, der Dannenröder Wald: Darüber sprechen wir im Interview mit unserer Kommilitonin Deborah “Debbie” Düring, Sprecherin der Grünen Jugend Hessen und Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2021.

Von Kevin Geisler & Natascha Kittler

Wie gelingt dir der Spagat zwischen deinem Studium und deiner politischen Arbeit? 

Der Spagat zwischen Studium und Arbeit gelingt mir in der Regel ganz gut, aber leicht ist es natürlich nicht. Nicht umsonst bin ich nicht mehr in Regelstudienzeit. Neben dem Studium und meiner regulären Arbeit bin ich zusätzlich rund 40 Stunden in der Woche politisch bei den Grünen aktiv. Ich arbeite viel am Wochenende, Hausarbeiten werden häufig im Zug geschrieben. Was mir persönlich hilft ist es, mich gut zu organisieren und meine Tage in Slots einzuteilen. Und nichtsdestotrotz gelingt mir das nicht immer. Es gibt immer auch Momente, in denen ich mir wirklich denke: Wie soll ich das alles nur schaffen? Aber zum Glück habe ich viele wunderbare Mitstreiter*innen, ein wundervolles Team in der Partei und einfach tolle Freund*innen, die mich immer wieder auffangen. 

Wie hat die Corona-Pandemie dich getroffen? Und fühlst du dich als Studentin von der Politik abgeholt? 

Demonstration in Hanau (Foto: Victor Martini)

Mich persönlich hat Corona zum Glück nicht so stark getroffen. Auch wenn es schon herausfordernd ist, die Parteiarbeit digital zu gestalten und natürlich vermisse auch ich die zwischenmenschlichen Kontakte, die die politischen Kämpfe irgendwie ertragbar gemacht haben. Was mir echt total fehlt, ist es sich mit Menschen zu treffen und frei zu diskutieren. Ich hatte aber schon das Gefühl, dass in den Diskussionen und den getroffenen Entscheidungen generell die jungen Leute und damit auch die Studierenden zu oft hinten runtergefallen sind. Man musste sich schon fragen, ob Bildungsministerin Karliczek überhaupt eine grobe Idee von den Lebensrealitäten der Studierenden hat, vor allem in einer so teuren Stadt wie Frankfurt am Main. Mein erster Gedanke zur 500,- Euro Regelung: Wenn ich Glück habe, kann ich davon gerade meine Miete und meine Versicherung bezahlen. Fehlt allerdings noch der Semesterbeitrag und gegessen habe ich dann auch noch nichts. Ich hätte mir gewünscht, dass Politik Lebensrealitäten abbildet. Aber gut, wahrscheinlich kann ich mich in 20 Jahren auch nicht mehr daran erinnern, wie es war, tagelang Pasta Aglio e Oglio zu essen, weil der Semesterbeitrag irgendwie bezahlt werden musste. 

Bleiben wir im Hier und Jetzt: Was nimmst du aus deinem Studium der Friedens- und Konfliktforschung mit für die praktische Politik? 

Aus meiner Sicht gibt mir die Wissenschaft das Werkzeug an die Hand, Dinge im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu analysieren und kritisch zu hinterfragen. Aber ich merke in der Parteipolitik auch, an welche Grenzen die idealtypischen Konzepte und Theorien aus dem Studium stoßen. Dennoch glaube ich, dass es super hilfreich sein kann Theorie und Praxis zusammenzudenken und darauf aufbauend seine realpolitischen Forderungen zu entwickeln. Denn auch im täglichen Klein-Klein der Parteipolitik sollte man seine Utopie, sprich das große Ganze, nicht aus dem Blick verlieren. Denn es muss uns gelingen, die Rettung des Klimas mit der Entwicklungspolitik und den Fragen globaler Gerechtigkeit zusammenzudenken. 

Dich zieht es mit 26 Jahren direkt in den Bundestag. Ist das nicht zu früh und mangelt es dir dafür nicht an Lebenserfahrung? 

Das Argument kommt immer wieder: “Ach, die jungen Leute.” Natürlich kann ich keine 60 Jahre Berufserfahrung aufweisen, das ist schlicht nicht möglich. Allerdings habe auch ich meine Erfahrungen gesammelt: durch Auslandsaufenthalte oder in der Gastronomie, an der Universität oder bei der KfW. Daher dürfen wir als Gesellschaft nicht den Fehler begehen, junge Menschen einfach in die Kategorie “du hast ja keine Ahnung” zu stecken. Damit werden wir ihnen nicht gerecht, denn jede*r Einzelne ist Expert*in für seine Lebensrealität. Gleichsam ist es mir persönlich sehr wichtig, meinen Master abzuschließen. Ich möchte auf jeden Fall immer in der Position sein, deutlich machen zu können, wo meine Linie beginnt, ab der ich politische Entscheidungen nicht mehr mittragen kann. So kann ich mir eine gewisse Unabhängigkeit bewahren.

Hast du diese rote Linie bereits für dich gezogen?

Ich habe unterschiedliche rote Linien. Als Grundorientierung habe ich mir jedoch mal gesetzt, dass meine politischen Entscheidungen am Schluss immer dem Ziel dienen sollen, das Leben aller zu verbessern.

Zieht es dich deshalb in die Bundespolitik und nicht auf kommunale oder Länderebene?

Grundsätzlich halte ich jedes politische Handeln auf jeder Ebene für wichtig, auch dass junge Leute auf allen Ebenen präsent sind. Aber die Themen, die mich wirklich bewegen, kann man am besten auf Bundesebene bewegen. Dazu zählt zum Beispiel das Ziel, eine globale Struktur- und Entwicklungspolitik auf den Weg zu bringen. Deswegen sage ich: Meine politischen Kämpfe sind einfach auf Bundesebene. Und der zweite Punkt, der mich motiviert, ist der Gedanke, dass es nicht sein kann, dass Philipp Amthor unsere Generation repräsentiert. Bei aller Liebe, das finde ich nicht gut. Parlamente sollen das Spiegelbild unserer Gesellschaft sein – dieses Ziel erreichen wir leider nicht mal im Ansatz. Neben vielen anderen unterrepräsentierten Gruppen fehlen uns junge Menschen und insbesondere junge Frauen. Deswegen sage ich: Ja, auch ich als junge Frau habe Bock in den Bundestag zu gehen und dort für meine politischen Ideale zu kämpfen. 

Die Politik tut sich schwer damit Frauen wie dich in den Parteien und den Parlamenten abzubilden. Auch die Grünen als Vorreiter haben hier noch Potential nach oben. Woran liegt das?

(Foto: Victor Martini)

Parteipolitik ist symptomatisch für patriarchale Strukturen in unserem System, die natürlich auch bei den Grünen vorhanden sind. Es braucht mehr als eine Quote, um diesen Strukturen entgegenzuwirken, auch wenn ich die sehr wichtig finde. Wir brauchen viel mehr Empowerment-Strukturen und ganz generell mehr Sichtbarkeit von Frauen und BiPOCs in der Politik. Egal, was ich von Kramp-Karrenbauer, von der Leyen, oder Merkel halte: Es ist ein Schritt, dass wir eine weibliche Verteidigungsministerin, Kommissionspräsidentin und Bundeskanzlerin haben. Aber damit sind wir als Gesellschaft immer noch meilenweit von echter Gleichberechtigung entfernt. Meine Co-Sprecherin erzählte mir letztens, sie würde voll gerne mal eine Person im Fernsehen sehen, bei der sie sich denkt: Geil, die ist wie ich und mit der kann ich mich identifizieren! Wenn man sich bei den Parlamentsdebatten anguckt, wie ein alter weißer Mann nach dem anderen redet, denkt man sich doch: Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich in meinem Leben gerade fühle und was mich beschäftigt. Allein dafür ist es wichtig, dass wir nicht nur mehr weibliche Repräsentantinnen, sondern auch mehr BiPOCs in den Parlamenten haben. 

Zum Schluss wollen wir über den Dannenröder Wald sprechen, an dem sich die Diskrepanz zwischen Oppositions- und Regierungsarbeit zeigt. Ein Spagat vor dem die Grünen bald auch im Bund stehen.  Wie stehst du als Grüne zum Danni? 

Ich finde es dringend notwendig, dass friedlicher ziviler Ungehorsam, als politisches Mittel in unserer Gesellschaft endstigmatisiert wird und als legitime Protestform wahrgenommen wird. Im Danni haben nicht nur Aktivistis, sondern auch viele verschiedenen Bürger*innenbewegungen protestiert. Das beweist wie vielfältig die Klimabewegung ist. Es ist wichtig, dass wir uns klar mit den friedlichen Protesten solidarisieren, denn unabhängig davon, dass ich diesen Wald sehr liebe uns es mir das Herz bricht zu sehen, dass ein so alter intakter Mischwald zerstört wird, ist der Weiterbau der A49 faktisch eine klima- und verkehrspolitische Katastrophe. Aber so leid es mir tut, so hart ich es finde, haben wir gerade einfach keine politische Mehrheit für Klimaschutz. Wir haben keine politische Mehrheit dafür, dass wir weniger Asphalt brauchen. Was wir gerade sehen, ist wie Verkehrsminister Scheuer einen 40 Jahre alten Bundesverkehrswegeplan weiter und weiter mit veralteten Asphaltprojekten stopft, um seine Mobilitätsrate zu steigern. Das kann und darf einfach nicht sein. Wenn wir wirklich eine Verkehrswende wollen, dann muss dieser Bundesverkehrswegeplan komplett auf Nachhaltigkeit überprüft werden. Und nach dem das von der Grünen Fraktion im Bundestag eingebrachte Moratorium an den Mehrheiten gescheitert ist, heißt es für uns Grüne in der nächsten Bundestagswahl für starke Mehrheiten für Klimaschutz und eine nachhaltige Verkehrswende zu kämpfen, die den Fokus auf die Schiene statt auf Asphalt setzt.

Gleichzeitig fühlt sich ein Teil eurer Kernwählerschaft trotzdem betrogen und kann diesen Spagat nicht mittragen. Was sagst du denen, die Grün jetzt für unwählbar halten? 

Wir als Grüne Jugend Hessen haben uns klar mit den friedlichen Protesten solidarisiert und immer wieder betont, dass wir es wichtig finden, dass Menschen starke Zeichen für Klimaschutz setzen und wir dafür auch gemeinsam mit ihnen kämpfen. Anstatt uns auseinander dividieren zu lassen müssen wir eher zu dem Punkt gelangen, dass wir sagen: “Wir führen diesen Kampf zusammen”. Denn auch wenn letztendlich die Klimabewegung nicht homogen ist, schaffen wir es nur gemeinsam unser Ziel zu erreichen: Eine klima- und sozialgerechte Welt, die eben solche Projekte der Vergangenheit angehören lässt. Und da führt nun mal grade kein Weg an unserem parlamentarischen System vorbei, in welchem wir die Impulse der zivilgesellschaftlichen Bewegungen umsetzen.

Debbie, danke für deine Zeit. 

Deborah “Debbie” Düring studiert seit dem WS 2018 an der Goethe-Universität Friedens- und Konfliktforschung und ist seit März 2019 Sprecherin der Grünen Jugend Hessen. Bei der Bundestagswahl 2021 tritt sie als Direktkandidatin für Bündnis90/Die Grünen in Frankfurt für den Wahlkreis 182 an und steht auf Platz 7 der hessischen Bundestagsliste ihrer Partei. Ihre politischen Schwerpunkte sind dabei die Außen-, Innen- und Sozialpolitik. Darüber hinaus bezeichnet sie sich selbst als Feministin und setzt sich für frauenpolitische Forderungen und Themen ein.

„Wir reden falsch über Rassismus!“

Am vergangenen Freitag las Alice Hasters im Studierendenhaus in Bockenheim aus ihrem Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“. Die Autorin, geboren 1989 in Köln, ist Tochter einer Schwarzen Mutter und eines Weißen Vaters. Ihre Herkunft hat ihren Alltag von klein auf verkompliziert: Das autobiographische Buch beschreibt eine Auswahl des alltäglichen Rassismus, der ihr in Deutschland seit frühster Kindheit begegnet. Das Werk dominierte im letzten Jahr viele Bestsellerlisten und wird oft in einem Zug mit anderen Werken wie „Exit Racism“ von Tupoka Ogette oder „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Snow genannt. Organisiert wurde das Event von „GG Vybe“, einer Gruppe weiblicher DJs, denn auch in der Welt von HipHop, RnB und Pop ist der Grat zwischen Aneignung und Empowerment ein schmaler.

Alice Hasters (Fotos: Bruno Papic)

In den knapp 2 ½ Stunden wurden in einer Mischung aus Lesung und Q&A viele Themen angeschnitten: Intersektionalität, Cultural Appropriation und positiver Rassismus. Täter-Opfer-Umkehr, die vielen schmalen Gratwanderungen und die Alltäglichkeit der Diskriminierung. Nicht selten schüttelten Zuhörer*innen den Kopf angesichts des geschilderten, blanken Rassismus, der Hasters in der Mitte Deutschlands begegnet. Überraschend? Eigentlich nicht.

Ein Jahr ist seit der Veröffentlichung ihres Buches im September 2019 bereits vergangen. Damals fiel Hasters in vielen Kreisen noch als Vertreterin einer radikalen Meinung auf und Begriffe wie BPoC waren für die breite Masse noch Neuland. Seitdem ist das Thema Rassismus im öffentlichen Diskurs angekommen und die damit verbundenen Probleme und Begriffe sind so präsent, da ist es schwer geworden, sich mit Unwissen herauszureden. Horst Seehofer versucht es trotzdem (mit mäßigem Erfolg).

Für Hasters persönlich ist insbesondere seit dem Tod von George Floyd vieles anders: „Ich hatte wahnsinnige Angst, Fehler zu machen“. Mittlerweile hat sie akzeptiert, dass sie nicht alle Erwartungen erfüllen kann: „Sich nicht zu zensieren, ist das wichtigste. Ich möchte niemanden verletzen, aber zuerst muss ich mich selbst schützen! Und ich kann besser mit mir leben, wenn ich meine Wut rauslasse.“ Laute Wut kann man sich als Außenstehender bei dieser ruhigen Frau allerdings kaum vorstellen. Dieser Wirkung ist sich Hasters bewusst: „Meine eigene Art ist kein Maßstab! Es muss auch Menschen geben, die aggro sind.“

Auch wenn die Wichtigkeit dieses Themas außer Frage steht, so fällt an diesem Abend auf: Hier sind Menschen zusammengekommen, die sich und ihre Umwelt reflektieren und ein gesellschaftliches Problem erkannt haben. Anhand der Publikumsfragen wird deutlich, dass die Anwesenden sich bereits mit dem Thema beschäftigt haben, sei es aufgrund der gesellschaftlichen Thematisierung in den letzten Monaten oder weil sie ihn selbst erlebt haben.

Darin besteht das Kernproblem von Lesungen und ähnlichen Veranstaltungen, insbesondere bei solchen, die fest verankerte Denkmuster herausfordern und gesellschaftliche Missstände anprangern. In diesem Fall: Die, die es hören sollten und müssten, sind höchstwahrscheinlich nicht da. Ein echter Diskurs kann in einer solchen Blase allerdings nur begrenzt stattfinden. Die eigene Komfortzone hat an diesem Abend wohl niemand richtig verlassen.

Vermutlich ist niemand gänzlich frei von rassistischen Denkmustern. Umso wichtiger ist es, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Hasters sieht an dieser Stelle das Grundproblem: „Wir reden falsch über Rassismus!“ Es geht zuallererst darum, den Dialog zu suchen und eingefahrene Muster in Frage zu stellen. Dass dieser Diskurs zwingend harmonisch ablaufen muss, ist für Hasters kein Kriterium. Hauptsache, er wird geführt. Auch von und mit Horst Seehofer.


Fazit: Wer gerade beginnt, sich mit dem Thema Rassismus und verwandten Diskursen auseinander zu setzen, für den ist dieses Buch gemacht. Sagen dir allerdings Begriffe wie Intersektionalität und Cultural Appropriation bereits etwas, dann gehörst du wahrscheinlich nicht zur primären Zielgruppe. Aber auch wenn du dich bereits mit dem Diskurs beschäftigst: Alice Hasters’ Buch nimmt sich der Thematik nicht aus einer übermäßig verkopften Richtung an, sondern stellt mit anschaulichen Schilderungen dessen erschreckende Alltäglichkeit in der Mitte unserer angeblich aufgeklärten Gesellschaft dar.