Zoom, Silvester und die neue Normalität

Während die Pandemie viele alte Routinen verworfen hat, sind andere längst Teil einer neuen Normalität. Warum es sich lohnt diese Normalität aufzubrechen und was das mit Zoom und Silvester zu tun hat – ein Essay.

Das Jahr 2020 ist vorbei und während der Pandemie-Alltag präsent bleibt, bleicht die Erinnerung an Silvester schon langsam wieder aus. Die Tradition Silvester als gesellschaftliche Institution der Reflexion zu nutzen, scheint dabei in vielen Milieus nicht mehr zeitgemäß. Innehalten, so die Argumentation, sei immer möglich und dafür brauche es keine gesamtgesellschaftliche Reflexions-Instanz, die dann noch mit billigem Sekt und den normalerweise obligatorischen Böllern abgerundet wird. Gerade die Corona-Pandemie, so attestiert etwa der Soziologe Hartmut Rosa, ließe sich als erzwungene Routine-Unterbrechung und somit als Ermöglichung des ausschweifenden Nachdenkens verstehen. Wieso also jetzt Innehalten, wenn der Lockdown dies (zumindest einigen) doch rund um die Uhr ermöglicht?

Vielleicht findet sich die Antwort in den neu entstandenen Routinen, die sich mittlerweile als neue Normalität präsentieren und eine reflexive Distanzierung immer schwieriger machen. Lässt sich also noch eine Welt außerhalb von Zoom-Konferenzen, Social-Distancing und FFP2-Masken denken? In der öffentlichen Debatte finden sich dazu grob vereinfacht zwei Szenarien: Auf der einen Seite existieren die Rufe nach einer Rückkehr zur alten Normalität. Alles solle zurückgedreht werden – sobald wie möglich. Und die Welt sei dann wieder wie vorher – zumindest für die Privilegierten der Gesellschaft. Die Tourismusbranche und die staatliche Unterstützung etwa des TUI-Konzerns finden darin ihren Ausdruck. Wenn nur die Pandemie vorbei ist, soll wieder geflogen werden, eine grenzenlose, aber privilegierte Mobilität ermöglicht und der alte Status Quo der partikularen Prosperität wiederhergestellt werden. Auf der anderen Seite steht die Forderung nach einer Abkehr von einer alten, vermeintlich stabilen Normalität. Die vielfach verwendete Brennglas-Metaphorik der Pandemie verdeutlicht in diesem Narrativ die Verbindungslinien der lang übersehenen Klassenungleichheiten, der Verwerfungen der Klimakrise und der prekären Zustände im Gesundheitswesen. Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, bringt diese Position in seiner realpolitischen Fassung auf den Punkt: „Zurück zur alten Normalität ist kein wünschenswerter Zustand.“

Doch während über verschiedene Zukunftsvisionen diskursiv und auch auf den Straßen gerungen wird, haben sich große Teile dieser neuen Normalität längst ins Alltagsleben geschlichen. Das Neue ist zum Selbstverständlichen geworden. Zoom-Seminare sind dabei wohl ein paradigmatisches Beispiel. Wie aufregend waren die vielen bunten Kacheln bei den ersten Sitzungen? Dort läuft eine Katze durchs Bild, während hier eine andere Person entspannt beim Seminar Pasta kocht. Das private Zimmer wurde zum Schauplatz von Identität und die ohnehin schwierige Trennung zwischen Privatem und Universität schien völlig zu erodieren. Im zweiten digitalen Semester ist dagegen vieles eingespielt. Natürlich wird sich hier und dort über das Format oder die Qualität der digitalen Lehre beschwert, doch insgesamt wirkt alles viel routinierter und irgendwie normal. Und natürlich ist diese Normalisierung in einigen Bereichen nicht zwingend negativ, birgt aber Gefahren. Denkbare Szenarien gibt es viele: Eine Universität, welche Lehre auch nach der Pandemie primär digital plant, um Ressourcen zu sparen und dem Ideal einer neoliberalen Universität ein Stück näherzukommen. Oder etwa Erstsemester-Studierende, die nicht in die Stadt ihres Studiums ziehen und für die eine digitale Universität ohne physische Diskussionen der Normalzustand ist und bleibt. Analog zur Universitätslandschaft ließe sich diese Liste etwa in der Fortführung von prekären Arbeitsverhältnissen oder auch in der Legitimierung von gesenkten Umweltstandards beliebig erweitern.

Ohne nun in einen einseitigen Kulturpessimismus zu verfallen, lohnt es sich in Zeiten einer Pandemie immer wieder die neue Normalität bewusst zu machen. Sie in manchen Fällen zu ent-normalisieren und zu politisieren. Denn während viele unserer neuen Routinen funktional helfen den Pandemie-Alltag zu überstehen, ermöglichen andere wiederum geräuschlos und ohne große Rechtfertigung Errungenschaften von vor der Krise rückabzuwickeln. Vielleicht helfen gerade bei solchen Überlegungen Zeitabschnitte der Distanz wie Silvester und die Neujahrstage – an welchen man ausnahmsweise mal in keinem Zoom-Call steckt.

„Auf Frankfurts Straßen ist kein Platz für Verschwörungsideologien und rechte Hetze“

Am 12. Dezember ruft die Gruppe „Querdenken“ in Frankfurt zu Demonstrationen auf. Wir haben mit Nadine Schneider, eine Sprecherin des antifaschistischen Bündnisses „Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ über die geplanten Gegenproteste gesprochen.

Seit April 2020 finden unter Bezeichnungen wie „Hygiene-Demos“ oder „Querdenken“ in zahlreichen Städten Demonstrationen statt, auch in Frankfurt. Offiziell richten sie sich gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Wie Recherchen jedoch gezeigt haben, finden sich auf den wirren Versammlungen organisierte Nazis, Holocaust-Relativierer und Menschen, die an eine Verschwörung der Finanzeliten glauben, zusammen. Zuletzt sorgte die Eskalation der Proteste in Berlin und Leipzig für Schlagzeilen. Allerdings regt sich starker Widerspruch von linken und antifaschistischen Gruppen, die zu Gegendemonstrationen und Blockaden aufrufen. Für den 12. Dezember hat sich „Querdenken“ wieder in Frankfurt angekündigt. FaSe hat mit Nadine Schneider, einer Sprecherin des antifaschistischen Bündnisses „Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ über die Zusammensetzung und Ideologie der Querdenken-Szene, die geplanten Gegenproteste und linke Antworten auf die Krise gesprochen.

FaSe: Hallo Nadine, vor allem zu Anfang der Proteste hat erstmal große Verwirrung darüber geherrscht, wer da eigentlich auf die Straße geht. Da war die Rede vom sowohl linken als auch rechten Spektrum oder von Menschen, die bisher eher „unpolitisch“ waren. Wen haben wir denn da nun vor uns?

Nadine: „Querdenken“ lässt sich am besten als rechte Mischszene bezeichnen. Dort tauchen Esoteriker*innen, knallharte Verschwörungsideolog*innen, klassische Nazis und Antisemit*innen auf, aber auch Personen, die sich als unpolitisch begreifen würden oder sogar ein linkes Selbstverständnis haben. Gefühle der Ohnmacht und Überforderung angesichts der Pandemie und der Kontaktbeschränkungen sind zwar nachvollziehbar, jedoch lehnen wir den Begriff der „nicht politischen“ Demonstrierenden ab. Wer sich mit Nazis und Antisemit*innen gemein macht und mit ihnen gemeinsam Veranstaltungen besucht, kann unserer Meinung nach nicht behaupten, nur „gegen Maßnahmen“ zu demonstrieren.

Wie passen diese unterschiedlichen Gruppen dann eigentlich zusammen? Was eint sie politisch und wie funktioniert deren Ideologie?

Es gibt nicht die eine „Querdenken“-Ideologie. Ganz im Gegenteil: Wer die Demos und Kundgebungen der verschiedenen Gruppen von Corona-Leugner*innen beobachtet, merkt schnell, dass es hier beinahe beliebig ist, welche konkrete Verschwörungsideologie vertreten wird. Mal wird der Virus SARS-CoV-2 nur verharmlost, mal wird seine Existenz gänzlich infrage gestellt. Manchen „Querdenken“-Teilnehmenden geht es in erster Linie um die Ablehnung des Impfens, andere wollen es „denen da oben“ mal so richtig zeigen. Was sie eint, ist jedoch eine diffuse Elitenkritik, in der Verschwörungsmythen eine große Rolle spielen. Statt also milliardenschwere Großkonzerne als Krisengewinner konkret zu benennen, ist in der „Querdenken“-Bewegung eine personalisierende, diffuse Elitenkritik am Werk, bei der antisemitische Codes wie der Mythos einer „jüdischen Weltverschwörung“ immer wieder auftauchen. Szenen von marodierenden Nazi-Mobs wie in Leipzig oder in Berlin zeigen, dass die Offenheit für extrem rechte Positionen und Akteure groß ist – übrigens auch in Frankfurt, wo bekannte Gesichter der extremen Rechten immer wieder auf Demos zu sehen sind oder sogar Reden halten.

Auch der Attentäter von Hanau hat in seinem Bekennervideo Verschwörungsideologien verbreitet. Bestehen da Verbindungen zwischen den Querdenken-Demos und der rechtsterroristischen Szene?

In der Tat war der Attentäter von Hanau Verfechter von QAnon-Verschwörungsideologien, faktisch eine modernisierte Form von Antisemitismus. Verbindungen zwischen Querdenken-Demos und rechtem Terror bestehen insofern, als dass auf den Demonstrationen mit Ideologien wie QAnon oder der omnipräsenten Endzeitstimmung ein Nährboden geschaffen wird, auf dem Radikalisierungsprozesse Wurzeln schlagen können. Es besteht die konkrete Gefahr, dass sich hier ein Milieu vernetzt, dass durchaus bereit ist, loszuschlagen, wenn es den Tag X für gekommen sieht. Die breite rechte Mobilisierung nach den rassistischen Ausschreitungen 2018 von Chemnitz liefert hierfür ein Beispiel: Stephan Ernst nahm mit anderen Nazis an der Demonstration teil. Ein Jahr später ermordete er den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Einzelne Personen könnten sich auch durch große Mobilisierungen der Corona-Leugner*innen motiviert fühlen, loszuschlagen. Der bereits erfolgte Anschlag auf das Robert-Koch-Institut in Berlin, die Ausschreitungen in Leipzig oder die erstellten Todeslisten mit unliebsamen Politiker*innen und Journalist*innen zeugen von dem bereits jetzt bestehenden Gewaltpotential der Szene.

Auf den Querdenken-Veranstaltungen geht es auch immer wieder darum, sich gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zu stellen. Wie du schon gesagt hast, ist das natürlich unglaubwürdig, wenn sich die Demonstrierenden entscheiden, mit Nazis und Antisemit*innen auf die Straße zu gehen. Aber ist die Kritik an autoritären Maßnahmen nicht eigentlich eine linke Kritik?

Es ist Aufgabe der linken Bewegung, autoritäre Maßnahmen zu bekämpfen. Darunter verstehen wir etwa, dass erwartet wird, sich weiterhin einem hohen Infektionsrisiko im öffentlichen Nahverkehr, in Schulen oder Fabriken auszusetzen, während die Freizeit eingeschränkt wird. Oder das erhöhte Maß an Racial Profiling. Aufweichung von Arbeitsschutzgesetzen und Einführung des 12-Stunden-Tags. Doch diese Kritik wird in der „Querdenken“-Bewegung nicht formuliert. Stattdessen wird dort für eine vermeintliche Freiheit gekämpft, die lediglich daraus besteht, keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen zu müssen. Die „Querdenker“ wollen zurück zu einem Normalzustand, mit dem es aus unserer Sicht keinen Frieden geben darf, sondern der geprägt ist von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen grassierenden Ideologien der Ungleichwertigkeit im Kapitalismus. Eine linke Kritik muss in den Blick nehmen, wie diese ohnehin schlechten Verhältnisse durch die Corona-Maßnahmen noch verschärft werden – und die völlige Aufhebung dieser Verhältnisse zum Ziel haben.

Bedeutet das, ihr versucht bei den Protesten auch eigene Inhalte zum Ausdruck zu bringen oder geht es erstmal darum sich denen in den Weg zu stellen?

Bei der letzten großen „Querdenken“-Demonstration in Frankfurt am 14. November konnte der Demonstrationszug blockiert werden, da an diesem Tag viele Menschen mit uns auf der Straße waren. Da nun für den 12. Dezember die nächste große „Querdenken69“-Mobilisierung nach Frankfurt läuft, werden wir erneut unseren Protest auf die Straße tragen. Anders als beim letzten Mal werden wir aber noch stärker versuchen, unsere eigenen Themen deutlich zu machen. Unter dem gemeinsamen Motto „Solidarisch durch die Krise“ wird an dem Tag ein breites Spektrum von Gruppen und Initiativen auf der Straße sein. Konkret verstehen wir unter diesem Motto, deutlich zu machen, dass die Krise nicht zu Lasten der ohnehin Prekarisierten gehen darf. Stattdessen wird in den verschiedenen Aufrufen für den Tag etwa auf die Notwendigkeit von Umverteilung in der Gesellschaft aufmerksam gemacht, die Aufwertung von Pflegeberufen durch mehr Entlohnung und nicht nur Applaus gefordert – aber es werden auch grundsätzliche Themen angesprochen wie Vergesellschaftung des Gesundheitswesen oder eine radikale Kritik am militarisierten Polizeiapparat.

Wie sind denn die Proteste der letzten Wochen verlaufen? Welche Erfahrungen habt ihr bereits gemacht und was ist dieses Mal anders?

Am 14. November konnte die „Querdenken“-Demo blockiert und schlussendlich zum Abbruch gezwungen werden. Das war ein großer Erfolg! Am 12. Dezember ist die Situation komplizierter, da „Querdenken69“ ganze 13 Plätze in der Innenstadt und eine Demonstrationsroute für 40.000 Menschen angemeldet hat. Wir sind also darauf angewiesen, dass sich möglichst viele Menschen unserem Protest anschließen, um deutlich zu machen, dass auf Frankfurts Straßen kein Platz für Verschwörungsideologien und rechte Hetze ist!

Aus Infektionsschutzgründen ist es ja momentan angebracht, Abstand zu halten und mit möglichst wenigen Menschen in physischen Kontakt zu kommen. Habt ihr einen Plan, wie ihr das bei euren Blockaden umsetzen wollt?

Wir appellieren an unsere Teilnehmer*innen, Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen, Abstände einzuhalten und Handdesinfektionsmittel mitzuführen. Unsere vergangenen Proteste haben gezeigt, dass diejenigen, die unseren Aufrufen folgen, die Infektionslage ernst nehmen und sich solidarisch und umsichtig verhalten. Die Infektionsschutzmaßnahmen wurden lediglich durch die Polizei eingeschränkt: Aktivist*innen wurden unter dem Einsatz massiver Gewalt, darunter des Schlagstocks, brutal zusammengetrieben, durch den unverhältnismäßigen Wasserwerfereinsatz wurden Mund-Nasen-Bedeckungen durchnässt und dadurch unbrauchbar gemacht. Dieser unnötige Bruch simpelster Infektionsschutzregeln ging nicht von den Teilnehmer*innen des Gegenprotests aus. Wir empfehlen, drei bis vier Mund-Nasen-Bedeckungen zum Wechseln mitzubringen und die Abstände, sofern möglich, einzuhalten.

Apropos Wasserwerfereinsatz: Welche Rolle spielt die Frankfurter Polizei bei den Protesten?

Bei den vergangenen Protesten hat die Polizei eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie bei linkem Gegenprotest, der sämtliche Hygienevorschriften einhält, auch im November schnell den Wasserwerfer einsetzt, während die „Querdenker“ erst nach 30 Ankündigungen am Abend alibi-mäßig noch einen sanften Regen bekommen. Das überrascht uns jedoch keineswegs: Angesichts von neonazistischen Chatgruppen bei der Polizei und in Zeiten von „NSU 2.0“ und alltäglichem Racial Profiling wissen wir, dass für die Polizei der Feind links steht. Es ist auch nicht unsere Sache, stärkere Polizeieinsätze oder Demoverbote für Corona-Leugner*innen zu fordern – stattdessen setzen wir auf Aufklärung über deren Strukturen und Ideologien, unter anderem mit engagierter Recherchearbeit, und konfrontieren deren Aufmärsche mit unserem Protest.

Zu guter Letzt: Was ist am 12.12. geplant? Was findet statt und was ist euer Ziel?

Unter unserem Motto „Solidarisch durch die Krise“ werden wir an diesem Tag deutlich machen, dass die derzeitige kapitalistische Krisenverwaltungspolitik der Bundesregierung an den Bedürfnissen derer, die am schwersten unter den Folgen der Krise zu leiden haben, vorbei geht. Wir haben bessere Ideen, und die heißen Solidarität, Klassenkampf, Feminismus, Ökologie und Antirassismus, und wir werden sie gerade jetzt während der Krise in die Offensive bringen. Nebenbei werden wir die „Querdenken“-Demo gehörig nerven und einen Aufmarsch voll von Verschwörungsideologien und rechter Hetze nicht ohne weiteres durch Frankfurt ziehen lassen.

Vielen Dank für das Gespräch, Nadine.

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Infos zum Bündnis ASVI und den geplanten Gegenprotesten gibt es auf Facebook (facebook.com/solidarischdurchdiekrise), Instagram (instagram.com/solidarisch_ffm1212), Twitter (twitter.com/astattvi) und unter asvi.noblogs.org.

Quelle Beitragsbild: protest.foto – südhessen – https://www.flickr.com/photos/protestfoto-suedhessen

„Ich hoffe einfach, dass ich bald wieder Musik vor Menschen spielen kann.“ – Der Studierende und DJ Nico im Interview über die Corona-Pandemie

Foto: Max Patzig

Nico studiert Lehramt mit den Fächern Theologie und Geschichte an der Goethe Universität und tritt gleichzeitig als DJ unter dem Künstlernamen Mr. Tone in ganz Deutschland auf, um sich so sein Studium zu finanzieren. 2018 wurde er deutscher Champion bei der Weltmeisterschaft im DJing (Red Bull 3Style) und vertrat Deutschland bei der Weltmeisterschaft in Taiwan. Im Interview mit FaSe spricht er von den Schwierigkeiten, die ihm als Studierender und  Künstler in die Corona-Pandemie begegnen.

B: Du bist mittlerweile schon einige Jahre als DJ aktiv und finanzierst dir so dein Studium und deinen Lebensunterhalt. DJ und Lehramtsstudent mit den Fächern Religion und Geschichte, wie passt das zusammen?

N: Menschen werden ja in der Wahrnehmung anderer meistens auf einige wenige Merkmale festgelegt. Aber ich glaube, dass Identität ist ein sehr vielfältiges Phänomen und Ich habe schlicht ganz verschiedene Interessen. Ich habe mich schon immer sehr für Musik interessiert und ich habe mich auch schon immer sehr für die Themen interessiert, die ich studiere. Das ist einerseits Pädagogik – also Arbeit mit Kindern und Jugendlichen – andererseits aber auch Geschichte, Theologie und Philosophie. Die Fächer passen ja eigentlich ganz gut in ein Bild, da sie inhaltlich nahe beieinander liegen. Insofern glaube ich gar nicht, dass das so eine ungewöhnliche Kombination ist, sondern einfach unterschiedliche Interessen.

B: Wie beeinflusst dein Studium deine Musik und umgekehrt, wie beeinflusst deine Musik vielleicht dein Studium? 

N: Ich glaube durch mein Studium, gerade das Studium der Philosophie, bin ich tendenziell etwas mehr ‚aware‘. Das ist ja ein Schlagwort, das heute oft fällt. Ich glaube ich bin vielleicht ein bisschen sensibler für gewisse Bereiche des Politischen. Ich mache ja maßgeblich Hip-Hop und einige Fragen die da im Diskurs aufkommen so wie Sexismus, Gewaltverherrlichung oder Drogenkonsum  sind für mich nochmal aus einer anderen Perspektive präsent, als das für viele andere in der Szene der Fall ist. Im Gegenzug bereichert die Musik mein Verständnis für Wissenschaft und den universitären Betrieb, weil ich dort mit ganz anderen Menschen in Kontakt komme und auch dadurch wieder für ganz andere Themen sensibilisiert werde. Gerade in der Wissenschaft neigt man ja dazu in seiner ‚Bubble‘ verhaftet zu sein und das passiert mir dadurch, dass ich im Nachtleben aktiv bin und dort mit Menschen zu tun habe, die, ganz wertungsfrei gesagt, sehr fern sind von dem was an der Universität passiert, eher weniger.

B: Du sprichst schon an, dass du in deinem Job viel mit Menschen in Kontakt bist. Die Clubs, in denen Du normalerweise auflegst, sind gerade auf Grund der Corona-Pandemie geschlossen. Was vermisst Du an deinem Job gerade am meisten?

N: Naja, als Musiker lebt man davon vor Leuten aufzutreten und das fällt natürlich gerade komplett weg. Viele meiner Kollegen versuchen das über Livestreams zu kompensieren und natürlich haben wir da Vorteile, die wir vor zehn oder fünfzehn Jahren nicht gehabt hätten. Aber das kann den Livebetrieb nicht ersetzen. 

B: Aber nicht nur dein Job, sondern auch dein Studium hat sich durch die aktuelle Situation verändert. Wie kommst du mit dem „Digitalen Sommersemester“ zurecht?

N: Also ich studiere ja an zwei Universitäten und mein Studium an der Goethe Universität ist davon relativ unberührt gewesen, da ich eigentlich keine Veranstaltungen mehr besuchen muss. Ich habe gerade meine Examensarbeit geschrieben und da war es natürlich ein bisschen komplizierter an Bücher zu kommen und in der Bibliothek arbeiten war nicht möglich. Aber insgesamt war es relativ unkompliziert. Parallel studiere ich Philosophie an der PTH Sankt Georgen und habe da auch einige Onlineseminare besucht und muss sagen, dass es schwierig ist, die Seminarkultur online zu reproduzieren. Meiner Wahrnehmung nach ist es schwierig wirklich ins Gespräch oder in die Diskussion zu kommen. Viele Menschen haben ganz andere Vorbehalte sich online zu äußern und möchten sich viel bedachter artikulieren als das vielleicht in einem Seminar der Fall wäre. Für eine Gesprächskultur ist das natürlich hemmend.

B: Man hört ja von einigen Studierenden, dass das digitale Semester einen deutlich höheren Arbeitsaufwand mit sich bringt. Wie sieht das bei dir aus?

N: Das kann ich so nicht wirklich bestätigen, aber ich glaube das kommt sehr auf die spezifischen Veranstaltungen an, deswegen kann ich dazu gar kein pauschales Urteil abgeben. 

B: Es wurde viel darüber diskutiert ob die Unterstützung für Studierende, die in eine schwierige finanzielle Situation geraten sind, ausreicht. Du bist gleichzeitig auch noch selbstständiger Künstler. Hast Du das Gefühl, dass genug für Dich und deine Branche getan wird? 

N: Naja, das ist schon alles ein bisschen absurd. In meiner speziellen Situation ist es so: Ich hätte Arbeitslosengeld beantragen können, aber dann hätte ich nicht weiter studieren können. So ist zumindest mein Kenntnisstand. Und das ist ja schon mal das erste Problem: Es ist hier gar nicht so ganz klar, wer Ansprüche auf was hat. Wenn das für mich, der intensiv versucht hat sich damit auseinanderzusetzen und einen Steuerberater hat, so unübersichtlich ist, dann kann ich mir vorstellen, dass viele vor ähnlichen Schwierigkeiten stehen und vielleicht sogar noch größere Probleme haben, sich zu informieren. Der zweite Punkt ist dann, dass es eine Soforthilfe gab. Die ist allerdings nur für laufende Betriebskosten und nicht für Lebenshaltungskosten. Wie soll man seinen Lebensunterhalt über ein halbes Jahr oder noch länger finanzieren, ohne tatsächlich Unterstützung zu bekommen. Klar, man kann sich arbeitslos melden, aber für ganz viele Menschen in einer anderen Situation als der meinen ist das ein riesiges Problem. Zum Beispiel wenn man eine Familie hat, die man ernähren muss und nicht weiß, wann man wieder arbeiten kann. Selbst wenn man solo-selbstständig ist, hat man sich eine Marke als Person aufgebaut. Da ist es nicht so einfach, mal eben den Beruf zu wechseln.

B: Du sprichst einen Berufswechsel an. Musstest Du Dir einen anderen Job für die Zeit der Corona-Einschränkungen suchen?

N: Ja. Das hat es für mich persönlich besonders schwierig gemacht hat, da ich gerade in der Abschlussphase meines Studiums bin. Ich hatte mir eigentlich meinen Terminkalender für das restliche Jahr so gelegt, dass ich mich gut hätte finanzieren und mich parallel auf mein Examen zu fokussieren können. Jetzt muss ich natürlich in einem deutlich schlechter bezahlten Job deutlich mehr Stunden arbeiten um mein restliches Studium zu finanzieren. Das ist natürlich eine Mehrbelastung.

B: Zum Abschluss vielleicht noch ein kleiner Ausblick: Du hast schon an DJ-Wettbewerben im Ausland teilgenommen. Solche Events scheinen gerade noch in weiter Ferne. Wann glaubst Du, kannst Du wieder auflegen und welche Veränderungen wünschst Du Dir in der Clubkultur, wenn es wieder los geht? 

N: Das ist jetzt quasi der Blick in die Glaskugel und ich habe eigentlich eher versucht mich davon fern zu halten, weil es vollkommen unabsehbar ist, was passiert. Ich weiß nicht, ob es Clubkultur, wie wir sie kennen, in Deutschland 2021 überhaupt noch geben wird. Meine Befürchtung ist, dass ganz viele Unternehmen insolvent gehen werden. Vielleicht müssen wir wieder bei null beginnen. Außerdem werden sich viele große Sponsoren, die solche DJ-Wettbewerbe bisher möglich gemacht haben, fragen, ob das jetzt die Branche ist, in die sie Geld stecken möchten. Keine Ahnung, was da passieren wird. Ich hoffe einfach, dass ich bald wieder Musik vor Menschen spielen kann.

Foto: Max Patzig

Die politische Debatte aus der Quarantäne entlassen

Ein Kommentar von Raul Rosenfelder

Es herrschen prekäre Arbeitsbedingungen im Mittelbau und bei den externen Angestellten der Universität. Studierende haben Schwierigkeiten die hohen Frankfurter Mieten zu zahlen, vor allem bei Jobverlust. Es ist fast unmöglich in Regelstudienzeit zu studieren und damit BAföG zu beziehen. All das läuft schon ganz ohne Corona, Krise und Pandemie ziemlich schief und hat sich jetzt zugespitzt.. Auf diese Probleme haben schon zu Anfang der Krise in den ersten Tagen der Schock-Isolation im März sowohl die alternative Uni-Gewerkschaft unter_bau, als auch der AStA hingewiesen und umfangreiche Forderungskataloge veröffentlicht . Zentrale Forderungen waren und sind die Absicherung der Beschäftigten an der Universität und die Verlängerung befristeter Stellen, die Aussetzung der Regelstudienzeit, die Gewährung deutlich längerer Abgabefristen der Hausarbeiten und die finanzielle Unterstützung von Studierenden durch Bund und Länder. Tatsächlich machten Senat und Präsidium zu Beginn des Sommersemesters dann auch weitreichende Zugeständnisse und übernahmen zahlreiche Forderungen. So begrüße die GU „die vielfältigen Bemühungen […] erfolgreiche Lehre auch unter Ausnahmebedingungen möglich machen“ . Das klingt erstmal nach Rückenwind für die Forderungen aus Studierendenvertretung und Uni-Gewerkschaft, die konsequente Umsetzung steht aber noch aus. Bis auf kleine Zugeständnisse, wie die Verlängerung von Hausarbeiten-Abgabefristen, hat sich bis jetzt nämlich nicht viel getan.

Besonders abstrus erscheint in dem Kontext eine Pressemitteilung von Mitte März, in der sich das Präsidium unter Zuhilfenahme zweier Fachschaftsmitglieder der Wirtschaftswissenschaften, anerkennend selbst auf die Schulter klopft und zum gelungenen, digitalen Semesterstart gratuliert . Herausragend dabei vor allem die Ignoranz gegenüber den Schwierigkeiten von Studierenden und Lehrenden im digitalen Raum, den Überstunden leistenden IT-Mitarbeiter*innen der Uni und denjenigen die neben dem digitalen Studium noch Kinder zu betreuen haben, wie Mitglieder des unter_bau kritisieren . Die fehlende Präsenzlehre, der mangelnde Datenschutz bei Videokonferenzen wie Zoom, Jobverlust und die finanzielle Situation von Studierenden scheinen für die PR-Abteilung der Uni eher zweitrangig zu sein.


Eine Forderung, die sowohl von AStA als auch vom unter_bau erhoben wird, ist die nach stärkerer studentischer Mitbestimmung . Klar, dass das Präsidium weit davon entfernt ist sie aufzugreifen, verteidigt die Uni doch hartnäckig ihre Vormachtstellung in allen politischen Entscheidungsgremien. Trotzdem trifft genau diese Forderung den wunden Punkt der ganzen Geschichte: wenn die Universität nur bei Lippenbekenntnissen verharrt und nicht für die Belange ihrer Studierenden und Beschäftigten eintritt, müssen die es eben selbst in die Hand nehmen. Auf die Großzügigkeit eines hierarchischen Apparates einer neoliberalen Universität kann man sich dabei sicher nicht verlassen. Bis die selbstverwaltete Universität jedoch Wirklichkeit ist, steht die Leitung der Uni weiterhin in der Pflicht mindestens ihren Versprechungen wie der Aussetzung der Regelstudienzeit und der Verlängerung des BAföG nachzukommen und sich mit den weitreichenderen Forderungen aus der Belegschaft und der Studierendenschaft auseinanderzusetzen. Spätestens jetzt, da überall wieder Lockerungen zugelassen werden ist es an der Zeit auch die politische Debatte aus der Quarantäne zu entlassen.