“Bei aller Liebe, das finde ich nicht gut”

Der Spagat zwischen Politik und Studium, Philipp Amthor als Repräsentant unserer Generation und das Problemkind der hessischen Grünen, der Dannenröder Wald: Darüber sprechen wir im Interview mit unserer Kommilitonin Deborah “Debbie” Düring, Sprecherin der Grünen Jugend Hessen und Direktkandidatin für die Bundestagswahl 2021.

Von Kevin Geisler & Natascha Kittler

Wie gelingt dir der Spagat zwischen deinem Studium und deiner politischen Arbeit? 

Der Spagat zwischen Studium und Arbeit gelingt mir in der Regel ganz gut, aber leicht ist es natürlich nicht. Nicht umsonst bin ich nicht mehr in Regelstudienzeit. Neben dem Studium und meiner regulären Arbeit bin ich zusätzlich rund 40 Stunden in der Woche politisch bei den Grünen aktiv. Ich arbeite viel am Wochenende, Hausarbeiten werden häufig im Zug geschrieben. Was mir persönlich hilft ist es, mich gut zu organisieren und meine Tage in Slots einzuteilen. Und nichtsdestotrotz gelingt mir das nicht immer. Es gibt immer auch Momente, in denen ich mir wirklich denke: Wie soll ich das alles nur schaffen? Aber zum Glück habe ich viele wunderbare Mitstreiter*innen, ein wundervolles Team in der Partei und einfach tolle Freund*innen, die mich immer wieder auffangen. 

Wie hat die Corona-Pandemie dich getroffen? Und fühlst du dich als Studentin von der Politik abgeholt? 

Demonstration in Hanau (Foto: Victor Martini)

Mich persönlich hat Corona zum Glück nicht so stark getroffen. Auch wenn es schon herausfordernd ist, die Parteiarbeit digital zu gestalten und natürlich vermisse auch ich die zwischenmenschlichen Kontakte, die die politischen Kämpfe irgendwie ertragbar gemacht haben. Was mir echt total fehlt, ist es sich mit Menschen zu treffen und frei zu diskutieren. Ich hatte aber schon das Gefühl, dass in den Diskussionen und den getroffenen Entscheidungen generell die jungen Leute und damit auch die Studierenden zu oft hinten runtergefallen sind. Man musste sich schon fragen, ob Bildungsministerin Karliczek überhaupt eine grobe Idee von den Lebensrealitäten der Studierenden hat, vor allem in einer so teuren Stadt wie Frankfurt am Main. Mein erster Gedanke zur 500,- Euro Regelung: Wenn ich Glück habe, kann ich davon gerade meine Miete und meine Versicherung bezahlen. Fehlt allerdings noch der Semesterbeitrag und gegessen habe ich dann auch noch nichts. Ich hätte mir gewünscht, dass Politik Lebensrealitäten abbildet. Aber gut, wahrscheinlich kann ich mich in 20 Jahren auch nicht mehr daran erinnern, wie es war, tagelang Pasta Aglio e Oglio zu essen, weil der Semesterbeitrag irgendwie bezahlt werden musste. 

Bleiben wir im Hier und Jetzt: Was nimmst du aus deinem Studium der Friedens- und Konfliktforschung mit für die praktische Politik? 

Aus meiner Sicht gibt mir die Wissenschaft das Werkzeug an die Hand, Dinge im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu analysieren und kritisch zu hinterfragen. Aber ich merke in der Parteipolitik auch, an welche Grenzen die idealtypischen Konzepte und Theorien aus dem Studium stoßen. Dennoch glaube ich, dass es super hilfreich sein kann Theorie und Praxis zusammenzudenken und darauf aufbauend seine realpolitischen Forderungen zu entwickeln. Denn auch im täglichen Klein-Klein der Parteipolitik sollte man seine Utopie, sprich das große Ganze, nicht aus dem Blick verlieren. Denn es muss uns gelingen, die Rettung des Klimas mit der Entwicklungspolitik und den Fragen globaler Gerechtigkeit zusammenzudenken. 

Dich zieht es mit 26 Jahren direkt in den Bundestag. Ist das nicht zu früh und mangelt es dir dafür nicht an Lebenserfahrung? 

Das Argument kommt immer wieder: “Ach, die jungen Leute.” Natürlich kann ich keine 60 Jahre Berufserfahrung aufweisen, das ist schlicht nicht möglich. Allerdings habe auch ich meine Erfahrungen gesammelt: durch Auslandsaufenthalte oder in der Gastronomie, an der Universität oder bei der KfW. Daher dürfen wir als Gesellschaft nicht den Fehler begehen, junge Menschen einfach in die Kategorie “du hast ja keine Ahnung” zu stecken. Damit werden wir ihnen nicht gerecht, denn jede*r Einzelne ist Expert*in für seine Lebensrealität. Gleichsam ist es mir persönlich sehr wichtig, meinen Master abzuschließen. Ich möchte auf jeden Fall immer in der Position sein, deutlich machen zu können, wo meine Linie beginnt, ab der ich politische Entscheidungen nicht mehr mittragen kann. So kann ich mir eine gewisse Unabhängigkeit bewahren.

Hast du diese rote Linie bereits für dich gezogen?

Ich habe unterschiedliche rote Linien. Als Grundorientierung habe ich mir jedoch mal gesetzt, dass meine politischen Entscheidungen am Schluss immer dem Ziel dienen sollen, das Leben aller zu verbessern.

Zieht es dich deshalb in die Bundespolitik und nicht auf kommunale oder Länderebene?

Grundsätzlich halte ich jedes politische Handeln auf jeder Ebene für wichtig, auch dass junge Leute auf allen Ebenen präsent sind. Aber die Themen, die mich wirklich bewegen, kann man am besten auf Bundesebene bewegen. Dazu zählt zum Beispiel das Ziel, eine globale Struktur- und Entwicklungspolitik auf den Weg zu bringen. Deswegen sage ich: Meine politischen Kämpfe sind einfach auf Bundesebene. Und der zweite Punkt, der mich motiviert, ist der Gedanke, dass es nicht sein kann, dass Philipp Amthor unsere Generation repräsentiert. Bei aller Liebe, das finde ich nicht gut. Parlamente sollen das Spiegelbild unserer Gesellschaft sein – dieses Ziel erreichen wir leider nicht mal im Ansatz. Neben vielen anderen unterrepräsentierten Gruppen fehlen uns junge Menschen und insbesondere junge Frauen. Deswegen sage ich: Ja, auch ich als junge Frau habe Bock in den Bundestag zu gehen und dort für meine politischen Ideale zu kämpfen. 

Die Politik tut sich schwer damit Frauen wie dich in den Parteien und den Parlamenten abzubilden. Auch die Grünen als Vorreiter haben hier noch Potential nach oben. Woran liegt das?

(Foto: Victor Martini)

Parteipolitik ist symptomatisch für patriarchale Strukturen in unserem System, die natürlich auch bei den Grünen vorhanden sind. Es braucht mehr als eine Quote, um diesen Strukturen entgegenzuwirken, auch wenn ich die sehr wichtig finde. Wir brauchen viel mehr Empowerment-Strukturen und ganz generell mehr Sichtbarkeit von Frauen und BiPOCs in der Politik. Egal, was ich von Kramp-Karrenbauer, von der Leyen, oder Merkel halte: Es ist ein Schritt, dass wir eine weibliche Verteidigungsministerin, Kommissionspräsidentin und Bundeskanzlerin haben. Aber damit sind wir als Gesellschaft immer noch meilenweit von echter Gleichberechtigung entfernt. Meine Co-Sprecherin erzählte mir letztens, sie würde voll gerne mal eine Person im Fernsehen sehen, bei der sie sich denkt: Geil, die ist wie ich und mit der kann ich mich identifizieren! Wenn man sich bei den Parlamentsdebatten anguckt, wie ein alter weißer Mann nach dem anderen redet, denkt man sich doch: Du hast überhaupt keine Ahnung, was ich in meinem Leben gerade fühle und was mich beschäftigt. Allein dafür ist es wichtig, dass wir nicht nur mehr weibliche Repräsentantinnen, sondern auch mehr BiPOCs in den Parlamenten haben. 

Zum Schluss wollen wir über den Dannenröder Wald sprechen, an dem sich die Diskrepanz zwischen Oppositions- und Regierungsarbeit zeigt. Ein Spagat vor dem die Grünen bald auch im Bund stehen.  Wie stehst du als Grüne zum Danni? 

Ich finde es dringend notwendig, dass friedlicher ziviler Ungehorsam, als politisches Mittel in unserer Gesellschaft endstigmatisiert wird und als legitime Protestform wahrgenommen wird. Im Danni haben nicht nur Aktivistis, sondern auch viele verschiedenen Bürger*innenbewegungen protestiert. Das beweist wie vielfältig die Klimabewegung ist. Es ist wichtig, dass wir uns klar mit den friedlichen Protesten solidarisieren, denn unabhängig davon, dass ich diesen Wald sehr liebe uns es mir das Herz bricht zu sehen, dass ein so alter intakter Mischwald zerstört wird, ist der Weiterbau der A49 faktisch eine klima- und verkehrspolitische Katastrophe. Aber so leid es mir tut, so hart ich es finde, haben wir gerade einfach keine politische Mehrheit für Klimaschutz. Wir haben keine politische Mehrheit dafür, dass wir weniger Asphalt brauchen. Was wir gerade sehen, ist wie Verkehrsminister Scheuer einen 40 Jahre alten Bundesverkehrswegeplan weiter und weiter mit veralteten Asphaltprojekten stopft, um seine Mobilitätsrate zu steigern. Das kann und darf einfach nicht sein. Wenn wir wirklich eine Verkehrswende wollen, dann muss dieser Bundesverkehrswegeplan komplett auf Nachhaltigkeit überprüft werden. Und nach dem das von der Grünen Fraktion im Bundestag eingebrachte Moratorium an den Mehrheiten gescheitert ist, heißt es für uns Grüne in der nächsten Bundestagswahl für starke Mehrheiten für Klimaschutz und eine nachhaltige Verkehrswende zu kämpfen, die den Fokus auf die Schiene statt auf Asphalt setzt.

Gleichzeitig fühlt sich ein Teil eurer Kernwählerschaft trotzdem betrogen und kann diesen Spagat nicht mittragen. Was sagst du denen, die Grün jetzt für unwählbar halten? 

Wir als Grüne Jugend Hessen haben uns klar mit den friedlichen Protesten solidarisiert und immer wieder betont, dass wir es wichtig finden, dass Menschen starke Zeichen für Klimaschutz setzen und wir dafür auch gemeinsam mit ihnen kämpfen. Anstatt uns auseinander dividieren zu lassen müssen wir eher zu dem Punkt gelangen, dass wir sagen: “Wir führen diesen Kampf zusammen”. Denn auch wenn letztendlich die Klimabewegung nicht homogen ist, schaffen wir es nur gemeinsam unser Ziel zu erreichen: Eine klima- und sozialgerechte Welt, die eben solche Projekte der Vergangenheit angehören lässt. Und da führt nun mal grade kein Weg an unserem parlamentarischen System vorbei, in welchem wir die Impulse der zivilgesellschaftlichen Bewegungen umsetzen.

Debbie, danke für deine Zeit. 

Deborah “Debbie” Düring studiert seit dem WS 2018 an der Goethe-Universität Friedens- und Konfliktforschung und ist seit März 2019 Sprecherin der Grünen Jugend Hessen. Bei der Bundestagswahl 2021 tritt sie als Direktkandidatin für Bündnis90/Die Grünen in Frankfurt für den Wahlkreis 182 an und steht auf Platz 7 der hessischen Bundestagsliste ihrer Partei. Ihre politischen Schwerpunkte sind dabei die Außen-, Innen- und Sozialpolitik. Darüber hinaus bezeichnet sie sich selbst als Feministin und setzt sich für frauenpolitische Forderungen und Themen ein.

Zoom, Silvester und die neue Normalität

Während die Pandemie viele alte Routinen verworfen hat, sind andere längst Teil einer neuen Normalität. Warum es sich lohnt diese Normalität aufzubrechen und was das mit Zoom und Silvester zu tun hat – ein Essay.

Das Jahr 2020 ist vorbei und während der Pandemie-Alltag präsent bleibt, bleicht die Erinnerung an Silvester schon langsam wieder aus. Die Tradition Silvester als gesellschaftliche Institution der Reflexion zu nutzen, scheint dabei in vielen Milieus nicht mehr zeitgemäß. Innehalten, so die Argumentation, sei immer möglich und dafür brauche es keine gesamtgesellschaftliche Reflexions-Instanz, die dann noch mit billigem Sekt und den normalerweise obligatorischen Böllern abgerundet wird. Gerade die Corona-Pandemie, so attestiert etwa der Soziologe Hartmut Rosa, ließe sich als erzwungene Routine-Unterbrechung und somit als Ermöglichung des ausschweifenden Nachdenkens verstehen. Wieso also jetzt Innehalten, wenn der Lockdown dies (zumindest einigen) doch rund um die Uhr ermöglicht?

Vielleicht findet sich die Antwort in den neu entstandenen Routinen, die sich mittlerweile als neue Normalität präsentieren und eine reflexive Distanzierung immer schwieriger machen. Lässt sich also noch eine Welt außerhalb von Zoom-Konferenzen, Social-Distancing und FFP2-Masken denken? In der öffentlichen Debatte finden sich dazu grob vereinfacht zwei Szenarien: Auf der einen Seite existieren die Rufe nach einer Rückkehr zur alten Normalität. Alles solle zurückgedreht werden – sobald wie möglich. Und die Welt sei dann wieder wie vorher – zumindest für die Privilegierten der Gesellschaft. Die Tourismusbranche und die staatliche Unterstützung etwa des TUI-Konzerns finden darin ihren Ausdruck. Wenn nur die Pandemie vorbei ist, soll wieder geflogen werden, eine grenzenlose, aber privilegierte Mobilität ermöglicht und der alte Status Quo der partikularen Prosperität wiederhergestellt werden. Auf der anderen Seite steht die Forderung nach einer Abkehr von einer alten, vermeintlich stabilen Normalität. Die vielfach verwendete Brennglas-Metaphorik der Pandemie verdeutlicht in diesem Narrativ die Verbindungslinien der lang übersehenen Klassenungleichheiten, der Verwerfungen der Klimakrise und der prekären Zustände im Gesundheitswesen. Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, bringt diese Position in seiner realpolitischen Fassung auf den Punkt: „Zurück zur alten Normalität ist kein wünschenswerter Zustand.“

Doch während über verschiedene Zukunftsvisionen diskursiv und auch auf den Straßen gerungen wird, haben sich große Teile dieser neuen Normalität längst ins Alltagsleben geschlichen. Das Neue ist zum Selbstverständlichen geworden. Zoom-Seminare sind dabei wohl ein paradigmatisches Beispiel. Wie aufregend waren die vielen bunten Kacheln bei den ersten Sitzungen? Dort läuft eine Katze durchs Bild, während hier eine andere Person entspannt beim Seminar Pasta kocht. Das private Zimmer wurde zum Schauplatz von Identität und die ohnehin schwierige Trennung zwischen Privatem und Universität schien völlig zu erodieren. Im zweiten digitalen Semester ist dagegen vieles eingespielt. Natürlich wird sich hier und dort über das Format oder die Qualität der digitalen Lehre beschwert, doch insgesamt wirkt alles viel routinierter und irgendwie normal. Und natürlich ist diese Normalisierung in einigen Bereichen nicht zwingend negativ, birgt aber Gefahren. Denkbare Szenarien gibt es viele: Eine Universität, welche Lehre auch nach der Pandemie primär digital plant, um Ressourcen zu sparen und dem Ideal einer neoliberalen Universität ein Stück näherzukommen. Oder etwa Erstsemester-Studierende, die nicht in die Stadt ihres Studiums ziehen und für die eine digitale Universität ohne physische Diskussionen der Normalzustand ist und bleibt. Analog zur Universitätslandschaft ließe sich diese Liste etwa in der Fortführung von prekären Arbeitsverhältnissen oder auch in der Legitimierung von gesenkten Umweltstandards beliebig erweitern.

Ohne nun in einen einseitigen Kulturpessimismus zu verfallen, lohnt es sich in Zeiten einer Pandemie immer wieder die neue Normalität bewusst zu machen. Sie in manchen Fällen zu ent-normalisieren und zu politisieren. Denn während viele unserer neuen Routinen funktional helfen den Pandemie-Alltag zu überstehen, ermöglichen andere wiederum geräuschlos und ohne große Rechtfertigung Errungenschaften von vor der Krise rückabzuwickeln. Vielleicht helfen gerade bei solchen Überlegungen Zeitabschnitte der Distanz wie Silvester und die Neujahrstage – an welchen man ausnahmsweise mal in keinem Zoom-Call steckt.

„Auf Frankfurts Straßen ist kein Platz für Verschwörungsideologien und rechte Hetze“

Am 12. Dezember ruft die Gruppe „Querdenken“ in Frankfurt zu Demonstrationen auf. Wir haben mit Nadine Schneider, eine Sprecherin des antifaschistischen Bündnisses „Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ über die geplanten Gegenproteste gesprochen.

Seit April 2020 finden unter Bezeichnungen wie „Hygiene-Demos“ oder „Querdenken“ in zahlreichen Städten Demonstrationen statt, auch in Frankfurt. Offiziell richten sie sich gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung. Wie Recherchen jedoch gezeigt haben, finden sich auf den wirren Versammlungen organisierte Nazis, Holocaust-Relativierer und Menschen, die an eine Verschwörung der Finanzeliten glauben, zusammen. Zuletzt sorgte die Eskalation der Proteste in Berlin und Leipzig für Schlagzeilen. Allerdings regt sich starker Widerspruch von linken und antifaschistischen Gruppen, die zu Gegendemonstrationen und Blockaden aufrufen. Für den 12. Dezember hat sich „Querdenken“ wieder in Frankfurt angekündigt. FaSe hat mit Nadine Schneider, einer Sprecherin des antifaschistischen Bündnisses „Aufklärung statt Verschwörungsideologien“ über die Zusammensetzung und Ideologie der Querdenken-Szene, die geplanten Gegenproteste und linke Antworten auf die Krise gesprochen.

FaSe: Hallo Nadine, vor allem zu Anfang der Proteste hat erstmal große Verwirrung darüber geherrscht, wer da eigentlich auf die Straße geht. Da war die Rede vom sowohl linken als auch rechten Spektrum oder von Menschen, die bisher eher „unpolitisch“ waren. Wen haben wir denn da nun vor uns?

Nadine: „Querdenken“ lässt sich am besten als rechte Mischszene bezeichnen. Dort tauchen Esoteriker*innen, knallharte Verschwörungsideolog*innen, klassische Nazis und Antisemit*innen auf, aber auch Personen, die sich als unpolitisch begreifen würden oder sogar ein linkes Selbstverständnis haben. Gefühle der Ohnmacht und Überforderung angesichts der Pandemie und der Kontaktbeschränkungen sind zwar nachvollziehbar, jedoch lehnen wir den Begriff der „nicht politischen“ Demonstrierenden ab. Wer sich mit Nazis und Antisemit*innen gemein macht und mit ihnen gemeinsam Veranstaltungen besucht, kann unserer Meinung nach nicht behaupten, nur „gegen Maßnahmen“ zu demonstrieren.

Wie passen diese unterschiedlichen Gruppen dann eigentlich zusammen? Was eint sie politisch und wie funktioniert deren Ideologie?

Es gibt nicht die eine „Querdenken“-Ideologie. Ganz im Gegenteil: Wer die Demos und Kundgebungen der verschiedenen Gruppen von Corona-Leugner*innen beobachtet, merkt schnell, dass es hier beinahe beliebig ist, welche konkrete Verschwörungsideologie vertreten wird. Mal wird der Virus SARS-CoV-2 nur verharmlost, mal wird seine Existenz gänzlich infrage gestellt. Manchen „Querdenken“-Teilnehmenden geht es in erster Linie um die Ablehnung des Impfens, andere wollen es „denen da oben“ mal so richtig zeigen. Was sie eint, ist jedoch eine diffuse Elitenkritik, in der Verschwörungsmythen eine große Rolle spielen. Statt also milliardenschwere Großkonzerne als Krisengewinner konkret zu benennen, ist in der „Querdenken“-Bewegung eine personalisierende, diffuse Elitenkritik am Werk, bei der antisemitische Codes wie der Mythos einer „jüdischen Weltverschwörung“ immer wieder auftauchen. Szenen von marodierenden Nazi-Mobs wie in Leipzig oder in Berlin zeigen, dass die Offenheit für extrem rechte Positionen und Akteure groß ist – übrigens auch in Frankfurt, wo bekannte Gesichter der extremen Rechten immer wieder auf Demos zu sehen sind oder sogar Reden halten.

Auch der Attentäter von Hanau hat in seinem Bekennervideo Verschwörungsideologien verbreitet. Bestehen da Verbindungen zwischen den Querdenken-Demos und der rechtsterroristischen Szene?

In der Tat war der Attentäter von Hanau Verfechter von QAnon-Verschwörungsideologien, faktisch eine modernisierte Form von Antisemitismus. Verbindungen zwischen Querdenken-Demos und rechtem Terror bestehen insofern, als dass auf den Demonstrationen mit Ideologien wie QAnon oder der omnipräsenten Endzeitstimmung ein Nährboden geschaffen wird, auf dem Radikalisierungsprozesse Wurzeln schlagen können. Es besteht die konkrete Gefahr, dass sich hier ein Milieu vernetzt, dass durchaus bereit ist, loszuschlagen, wenn es den Tag X für gekommen sieht. Die breite rechte Mobilisierung nach den rassistischen Ausschreitungen 2018 von Chemnitz liefert hierfür ein Beispiel: Stephan Ernst nahm mit anderen Nazis an der Demonstration teil. Ein Jahr später ermordete er den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Einzelne Personen könnten sich auch durch große Mobilisierungen der Corona-Leugner*innen motiviert fühlen, loszuschlagen. Der bereits erfolgte Anschlag auf das Robert-Koch-Institut in Berlin, die Ausschreitungen in Leipzig oder die erstellten Todeslisten mit unliebsamen Politiker*innen und Journalist*innen zeugen von dem bereits jetzt bestehenden Gewaltpotential der Szene.

Auf den Querdenken-Veranstaltungen geht es auch immer wieder darum, sich gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung zu stellen. Wie du schon gesagt hast, ist das natürlich unglaubwürdig, wenn sich die Demonstrierenden entscheiden, mit Nazis und Antisemit*innen auf die Straße zu gehen. Aber ist die Kritik an autoritären Maßnahmen nicht eigentlich eine linke Kritik?

Es ist Aufgabe der linken Bewegung, autoritäre Maßnahmen zu bekämpfen. Darunter verstehen wir etwa, dass erwartet wird, sich weiterhin einem hohen Infektionsrisiko im öffentlichen Nahverkehr, in Schulen oder Fabriken auszusetzen, während die Freizeit eingeschränkt wird. Oder das erhöhte Maß an Racial Profiling. Aufweichung von Arbeitsschutzgesetzen und Einführung des 12-Stunden-Tags. Doch diese Kritik wird in der „Querdenken“-Bewegung nicht formuliert. Stattdessen wird dort für eine vermeintliche Freiheit gekämpft, die lediglich daraus besteht, keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen zu müssen. Die „Querdenker“ wollen zurück zu einem Normalzustand, mit dem es aus unserer Sicht keinen Frieden geben darf, sondern der geprägt ist von Sexismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen grassierenden Ideologien der Ungleichwertigkeit im Kapitalismus. Eine linke Kritik muss in den Blick nehmen, wie diese ohnehin schlechten Verhältnisse durch die Corona-Maßnahmen noch verschärft werden – und die völlige Aufhebung dieser Verhältnisse zum Ziel haben.

Bedeutet das, ihr versucht bei den Protesten auch eigene Inhalte zum Ausdruck zu bringen oder geht es erstmal darum sich denen in den Weg zu stellen?

Bei der letzten großen „Querdenken“-Demonstration in Frankfurt am 14. November konnte der Demonstrationszug blockiert werden, da an diesem Tag viele Menschen mit uns auf der Straße waren. Da nun für den 12. Dezember die nächste große „Querdenken69“-Mobilisierung nach Frankfurt läuft, werden wir erneut unseren Protest auf die Straße tragen. Anders als beim letzten Mal werden wir aber noch stärker versuchen, unsere eigenen Themen deutlich zu machen. Unter dem gemeinsamen Motto „Solidarisch durch die Krise“ wird an dem Tag ein breites Spektrum von Gruppen und Initiativen auf der Straße sein. Konkret verstehen wir unter diesem Motto, deutlich zu machen, dass die Krise nicht zu Lasten der ohnehin Prekarisierten gehen darf. Stattdessen wird in den verschiedenen Aufrufen für den Tag etwa auf die Notwendigkeit von Umverteilung in der Gesellschaft aufmerksam gemacht, die Aufwertung von Pflegeberufen durch mehr Entlohnung und nicht nur Applaus gefordert – aber es werden auch grundsätzliche Themen angesprochen wie Vergesellschaftung des Gesundheitswesen oder eine radikale Kritik am militarisierten Polizeiapparat.

Wie sind denn die Proteste der letzten Wochen verlaufen? Welche Erfahrungen habt ihr bereits gemacht und was ist dieses Mal anders?

Am 14. November konnte die „Querdenken“-Demo blockiert und schlussendlich zum Abbruch gezwungen werden. Das war ein großer Erfolg! Am 12. Dezember ist die Situation komplizierter, da „Querdenken69“ ganze 13 Plätze in der Innenstadt und eine Demonstrationsroute für 40.000 Menschen angemeldet hat. Wir sind also darauf angewiesen, dass sich möglichst viele Menschen unserem Protest anschließen, um deutlich zu machen, dass auf Frankfurts Straßen kein Platz für Verschwörungsideologien und rechte Hetze ist!

Aus Infektionsschutzgründen ist es ja momentan angebracht, Abstand zu halten und mit möglichst wenigen Menschen in physischen Kontakt zu kommen. Habt ihr einen Plan, wie ihr das bei euren Blockaden umsetzen wollt?

Wir appellieren an unsere Teilnehmer*innen, Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen, Abstände einzuhalten und Handdesinfektionsmittel mitzuführen. Unsere vergangenen Proteste haben gezeigt, dass diejenigen, die unseren Aufrufen folgen, die Infektionslage ernst nehmen und sich solidarisch und umsichtig verhalten. Die Infektionsschutzmaßnahmen wurden lediglich durch die Polizei eingeschränkt: Aktivist*innen wurden unter dem Einsatz massiver Gewalt, darunter des Schlagstocks, brutal zusammengetrieben, durch den unverhältnismäßigen Wasserwerfereinsatz wurden Mund-Nasen-Bedeckungen durchnässt und dadurch unbrauchbar gemacht. Dieser unnötige Bruch simpelster Infektionsschutzregeln ging nicht von den Teilnehmer*innen des Gegenprotests aus. Wir empfehlen, drei bis vier Mund-Nasen-Bedeckungen zum Wechseln mitzubringen und die Abstände, sofern möglich, einzuhalten.

Apropos Wasserwerfereinsatz: Welche Rolle spielt die Frankfurter Polizei bei den Protesten?

Bei den vergangenen Protesten hat die Polizei eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie bei linkem Gegenprotest, der sämtliche Hygienevorschriften einhält, auch im November schnell den Wasserwerfer einsetzt, während die „Querdenker“ erst nach 30 Ankündigungen am Abend alibi-mäßig noch einen sanften Regen bekommen. Das überrascht uns jedoch keineswegs: Angesichts von neonazistischen Chatgruppen bei der Polizei und in Zeiten von „NSU 2.0“ und alltäglichem Racial Profiling wissen wir, dass für die Polizei der Feind links steht. Es ist auch nicht unsere Sache, stärkere Polizeieinsätze oder Demoverbote für Corona-Leugner*innen zu fordern – stattdessen setzen wir auf Aufklärung über deren Strukturen und Ideologien, unter anderem mit engagierter Recherchearbeit, und konfrontieren deren Aufmärsche mit unserem Protest.

Zu guter Letzt: Was ist am 12.12. geplant? Was findet statt und was ist euer Ziel?

Unter unserem Motto „Solidarisch durch die Krise“ werden wir an diesem Tag deutlich machen, dass die derzeitige kapitalistische Krisenverwaltungspolitik der Bundesregierung an den Bedürfnissen derer, die am schwersten unter den Folgen der Krise zu leiden haben, vorbei geht. Wir haben bessere Ideen, und die heißen Solidarität, Klassenkampf, Feminismus, Ökologie und Antirassismus, und wir werden sie gerade jetzt während der Krise in die Offensive bringen. Nebenbei werden wir die „Querdenken“-Demo gehörig nerven und einen Aufmarsch voll von Verschwörungsideologien und rechter Hetze nicht ohne weiteres durch Frankfurt ziehen lassen.

Vielen Dank für das Gespräch, Nadine.

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Infos zum Bündnis ASVI und den geplanten Gegenprotesten gibt es auf Facebook (facebook.com/solidarischdurchdiekrise), Instagram (instagram.com/solidarisch_ffm1212), Twitter (twitter.com/astattvi) und unter asvi.noblogs.org.

Quelle Beitragsbild: protest.foto – südhessen – https://www.flickr.com/photos/protestfoto-suedhessen

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